Commercial Courts in Deutschland – Wie das Justizstandort‑Stärkungsgesetz staatliche Wirtschaftsprozesse revolutioniert

Strafverteidiger Giloth

1 | Warum Deutschland Commercial Courts braucht

Die letzten Jahre waren für die staatliche Ziviljustiz im Wirtschaftsrecht kein Ruhmesblatt: Weniger Klagen, dafür mehr Schiedsverfahren. Unternehmen schätzten Diskretion, Fachkompetenz und die Möglichkeit, in Englisch zu verhandeln. Der Gesetzgeber reagiert nun mit dem Justizstandort‑Stärkungsgesetz: Seit 1. April 2025 dürfen neu geschaffene Commercial Courts große Handelssachen in erster Instanz entscheiden. Ziel ist klar: Deutschland soll im Ringen um internationale Wirtschaftsprozesse wieder Terrain gutmachen und eine echte Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeitbieten.


2 | Gesetzliche Basis: Das Justizstandort‑Stärkungsgesetz 2025

Kern des Reformpakets sind Änderungen im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und in der Zivilprozessordnung (ZPO). Insbesondere wurden die §§ 119b GVG und §§ 610 ff. ZPO eingeführt bzw. angepasst. Sie regeln

  • die Einrichtung spezieller Senate bei Oberlandesgerichten,

  • deren erstinstanzliche Zuständigkeit ab einem Streitwert von 500 000 €,

  • die Option, englischsprachig zu verhandeln,

  • neue Organisationstermine,

  • die Geheimhaltung sensibler Informationen sowie

  • einen verkürzten Instanzenzug mit direktem Gang zum Bundesgerichtshof.

Mit diesem Instrumentenkasten will der Bund – in enger Abstimmung mit den Ländern – den oft kritisierten „Qualitäts‑ und Tempo‑Nachteil“ der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgleichen.


3 | Wo Commercial Courts bereits Realität sind

Der neue § 119b I GVG ermächtigt die Landesregierungen, einen oder mehrere Senate ihres Oberlandesgerichts zum Commercial Court zu erklären. Bereits aktiv sind:

  • Berlin

  • Bremen

  • Düsseldorf

  • Hamburg

  • Stuttgart

Im Sommer 2025 folgen Frankfurt a. M. und München. Jedes Bundesland darf die Zuständigkeit seines Commercial Courts außerdem auf bestimmte Sachgebiete beschränken – etwa auf Unternehmenskäufe oder Organhaftung. Dadurch entstehen bundesweit spezialisierte Kompetenzzentren, die miteinander um komplexe Großverfahren konkurrieren.


4 | Zuständigkeit: Wann landet ein Fall vor dem Commercial Court?

4.1 Automatische Schwelle: 500 000 € Streitwert

Erfasst werden zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Unternehmern (§ 14 BGB) ab 500 000 €. Ausgenommen bleiben IPO‑, IP‑ und UWG‑Verfahren – dafür existieren weiterhin eigene Spruchkörper. Daneben entscheidet der Commercial Court über

  • Streitigkeiten aus Unternehmenskäufen oder Anteilserwerben und

  • Organ‑ und Aufsichtsratsprozesse.

4.2 Parteiautonomie entscheidet

Die Parteien müssen die Zuständigkeit vereinbaren – ausdrücklich in der Vertragsklausel oder stillschweigend, indem sich der Beklagte rügelos einlässt (§ 119b II GVG). Auf Antrag kann sogar nach Klageeinreichung noch in den Commercial Court verwiesen werden (§ 611 ZPO). Die Folge ist eine ausschließliche Zuständigkeit, sofern nichts anderes bestimmt wird.


5 | Prozess in Englisch: Der Game‑Changer

Das wohl attraktivste Feature ist die Gerichtssprache Englisch. Vereinbaren die Parteien sie ausdrücklich – oder reicht der Kläger eine englischsprachige Klage ein, auf die der Beklagte ohne Widerspruch in Englisch reagiert –, läuft das Verfahren komplett in dieser Sprache (§ 184a GVG). Wichtig:

  • Übersetzungen deutscher Urkunden können angeordnet werden, wenn nötig.

  • Englische Urkunden müssen nicht ins Deutsche übersetzt werden.

  • Dolmetscher oder Übersetzer lassen sich jederzeit hinzuziehen.

Sogar vor dem Bundesgerichtshof darf auf Antrag weiter Englisch gesprochen werden (§ 184b GVG). Damit entfällt einer der Hauptgründe, warum internationale Konzerne bislang zur Schiedsgerichtsbarkeit auswichen.


6 | Organisationstermin: Effizienz wie im Schiedsverfahren

Neu ist der Organisationstermin nach § 612 ZPO. Früh im Verfahren legen Richter und Parteien

  • Sach‑ und Streitstand,

  • Beweisthemen,

  • Fristen und

  • Terminblöcke

gemeinsam fest. Die Erfahrung aus der Schiedsgerichtsbarkeit zeigt: Ein klarer Fahrplan verhindert zeitraubende Verlängerungs‑ und Verlegungsanträge. Das macht das Verfahren planbar und kostentransparent.


7 | Geheimhaltung: Geschäftsgeheimnisse bleiben geschützt

Mit dem neuen § 273a ZPO darf der Commercial Court – auf Antrag – Informationen als „geheimhaltungsbedürftig“ einstufen, sofern es sich potentiell um Geschäftsgeheimnisse (§ 2 Nr. 1 GeschGehG) handelt. Konsequenzen:

  • Verfahrensbeteiligte müssen die Infos vertraulich behandeln.

  • Nutzung oder Offenlegung außerhalb des Prozesses sind untersagt.

  • Verstöße können sanktioniert werden.

Damit holt die staatliche Gerichtsbarkeit zu einem ihrer größten Nachteile auf: der Öffentlichkeit. Unternehmen, die sich bislang aus Angst vor Reputations‑ oder Markt­schäden für Schiedsgerichte entschieden, erhalten nun echten Schutz.


8 | Verkürzter Instanzenzug & Einzelrichter‑Ausschluss

8.1 Senat statt Einzelrichter

§ 610 I ZPO schließt die Übertragung an den Einzelrichter aus. Entscheiden muss immer ein Senat – ein Qualitätsplus, weil wirtschaftsrechtliche Spezialkenntnis gebündelt wird.

8.2 Direkt zum Bundesgerichtshof

Gegen Urteile des Commercial Courts gibt es keine Berufung. Parteien können jedoch zulassungsfrei Revision beim BGH einlegen (§ 614 ZPO). Der klassische Dreiklang Landgericht – Oberlandesgericht – BGH schrumpft auf zwei Instanzen. Ergebnis: schnellere Rechtskraft und – bei Grundsatzfragen – direkte höchstrichterliche Klärung.


9 | Vorteile gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit

KriteriumCommercial CourtSchiedsgericht
ÖffentlichkeitGrundsätzlich öffentlich, aber Geheimhaltungsanträge möglich (§ 273a ZPO)Vollständig vertraulich
FachkompetenzSenat aus Berufsrichtern mit WirtschaftsschwerpunktSchiedsrichter frei wählbar
VerfahrensspracheDeutsch oder EnglischFrei wählbar
InstanzenzugVerkürzt: Commercial Court → BGHVerfahrens‑Finalität, Aufhebungsverfahren möglich
KostenGerichtskosten nach GKG; planbarHonorarabhängig, oft höher
VollstreckbarkeitTitel europaweit durchsetzbarAnerkennung nach New‑York‑Konvention

Unternehmen, die Wert auf höchstrichterliche Nachprüfung legen und gleichzeitig Diskretion brauchen, erhalten mit dem Commercial Court einen bisher fehlenden Mittelweg.


10 | Praxisfolgen für Vertragsgestaltung

10.1 Gerichtsstandsvereinbarung

Wer die Vorteile sichern will, sollte schon im Vertrag eine Commercial‑Court‑Klausel aufnehmen, die

  • einen konkreten Sitz (z. B. „Commercial Court Hamburg“) nennt,

  • den Streitwertverweis („≥ 500 000 €“) bestätigt und

  • englische Sprache als verbindlich festlegt.

10.2 Fälle unter 500 000 €

Liegt der Streitwert in typischen Liefer‑ oder Dienstleistungsverträgen darunter, kann eine zusätzliche Gerichtsstands‑ oder Schiedsvereinbarung sinnvoll sein, um Wege in die Spezialisierung offen zu halten.


11 | Checkliste für Rechtsabteilungen

  1. Vertragsreview: Enthalten Ihre AGB bereits Commercial‑Court‑Klauseln?

  2. Streitwertermittlung: Liegen potenzielle Ansprüche regelmäßig > 500 000 €?

  3. Englischkompetenz: Sind interner Schriftverkehr und Zeugen aussagefähig?

  4. Dokumentenmanagement: Können Sie sensible Informationen für § 273a‑Anträge identifizieren?

  5. Timeline‑Planung: Richten Sie Projektpläne auf den verkürzten Instanzenzug aus.


12 | Kritische Punkte und offene Fragen

  • Uneinheitliche Länderzuständigkeit: Unterschiedliche Beschränkungen können „Forum Shopping“ fördern.

  • Ressourcen der Oberlandesgerichte: Senate brauchen Kapazität, um Versprechen von Schnelligkeit einzulösen.

  • Englisch am BGH: Die Praxis muss zeigen, wie reibungslos Revisionen in Fremdsprache funktionieren.

  • Kostenstruktur: Ob die staatlichen Gebühren gegenüber Schieds­honoraren dauerhaft günstiger bleiben, hängt auch von Streitwert und Verfahrenslänge ab.


13 | Fazit: Aufwertung der staatlichen Gerichtsbarkeit

Mit den Commercial Courts verschafft der Gesetzgeber Unternehmen einen dritten Weg zwischen klassischem Landgericht und privater Schiedsgerichtsbarkeit. Englischsprachige Verfahren, starke Senate, Geheimhaltungsoptionen und ein schneller Instanzenzug adressieren exakt jene Schwachstellen, die zuletzt zum Rückgang staatlicher Wirtschaftsprozesse führten.

Rechtsabteilungen sollten die Neuerungen proaktiv nutzen: Gerichtsstands‑ und Sprachklauseln aktualisieren, Prozesse anpassen, Early‑Case‑Assessment‑Tools auf die neuen Abläufe zuschneiden. So sichern Sie sich – und dem Justizstandort Deutschland – den vollen Benefit der Reform.


Ihre Ansprechpartner

Rechtsanwalt Dr. jur. Andre Natalello

 Telefon: 06131-9725322

 E-Mail: info@hng.law
 Standorte: Mainz | Alzey
 Termine nach Vereinbarung – auch kurzfristig möglich


Hobohm Natalello Giloth – Rechtsanwälte seit 1959

Terminvereinbarung

WHATSAPP

Terminvereinbarungen mit der Kanzlei sind unproblematisch auch per WhatsApp möglich. Bitte beachten Sie jedoch, dass über WhatsApp ausschließlich die Terminvereinbarung erfolgt.

KONTAKTFORMULAR

Zur Vereinbarung eines Termins mit der Kanzlei Hobohm Natalello Giloth können Sie im Übrigen auch das Kontaktformular verwenden. So kommen Sie schnell und einfach zu Ihrem Termin in der Kanzlei

E-MAIL

Selbstverständlich können Sie Termine mit Ihrem Anwalt auch per E-Mail vereinbaren. Bei einer Kontaktaufnahme per E-Mail bietet es sich an, wenn Sie den Sachverhalt bereits grob skizzieren.